Niemals wollte ich eine Perserkatze. Eine Katze ohne Nase, dafür umso mehr Fell, vielleicht noch mit zotteligen Verfilzungen. Auf gar keinen Fall. Die schnarchen und ständig muss man sie kämmen. Also nein! habe ich schon gesagt, auf gar keinen Fall? Und dann war da Paula, die jetzt Locke heißt, oder Wolke oder Flocke. Bei den Samtpfoten wurde sie oft belächelt mit ihrem schmutzigen, einheitsgrauen Fell. Aus Protest kniff sie stets die Augen zu… Welche Farbe hatten die gleich noch?…und rollte sich zu einem festen Knäul zusammen. Auch ich habe sie lange übersehen, vielleicht hin und wieder gedankenverloren über ihren Rücken gestreichelt, aber von Liebe war da keine Spur.
Charakterlich passend zu meiner Erstkatze sei nur Paula, riet mir Vorständin Ines Russew. Aha, Paula also. Knipse ich mal ein Bild und beratschlage das zu Hause. Im Gegensatz zu sonstigen Fotoversuchen posierte Paula ausnahmsweise souverän und würdevoll und die Ähnlichkeit zu den putzigen Ewoks (für alle, die die letzten dreißig Jahre Kinogeschichte verpasst haben: Das ist eine tapfere, humanoide Spezies vom Waldmond Endor, nachzusehen in „Star Wars – Die Rückkehr der Jedi Ritter“) war verblüffend.
Sie wurde mir zudem als „ausgesprochen gut sozialisiert und pflegeleicht“, da sie sich gerne kämmen ließe, beschrieben. In einem Punkt sollten sie recht behalten: Paula, ab jetzt Locke, ist eine absolut umgängliche und freundliche Katze, sei es gegenüber Menschen oder anderen Katzen. Kaum wurde die Transportbox im neuen Zuhause abgesetzt, da kletterte Locke auch schon munter heraus und tapste durch das Zimmer. Die ganze Wohnung wurde sogleich erkundet und das Zusammentreffen mit der Erstkatze unvermeidlich. Nach der ersten Schrecksekunde aufseiten der Erstkatze…ohmeingott, ein Stein auf vier Beinen…!!!Kreisch!!!…wurde zur Verteidigung ihres Reviers angesetzt. Die angegriffene Locke ließ sich nicht einmal ein müdes Fauchen entlocken, sondern setzte sich still in die Ecke. Nachdem der Sturm vorüber war, wurde die Erkundung unbeirrt fortgesetzt.
Wie in jedem Katzenratgeber nachzulesen, versuchten wir, Locke von den Lieblingsplätzen der Erstkatze fernzuhalten und abends musste sie in „ihr“ Zimmer zum Schlafen. Morgens blitzelte sie mir noch verschlafen vom Kratzbaum entgegen, folgte mir dann bei meiner Morgenroutine, zum Tee trinken in die Küche und zum Zähne putzen ins Bad, wo sie sich artig nach dem Frühstück das Gesichtchen waschen ließ.
Nach einigen Tagen bemerkte auch die Erstkatze, dass es sich zu zweit viel leichter um Fressbares betteln ließ und die ganz großen Dramen flauten ab. Bereits in der vierten Nacht durfte Locke entgegen allen Ratschlägen im regulären Schlafzimmer übernachten, sprang aufs Kissen und schläft seitdem nirgendwo anders. Die ersten Wochen war ich allabendlich bemüht mit Kamm und Bürste den Verfuselungen an Locke zu Leibe zu rücken. Ich wollte ja eine gute Perserpflege betreiben. Doch weil Locke überhaupt keinen Gefallen am Kämmen fand…Welch falsche Versprechungen!.., stresste uns die Pflegeprozedur beide sehr. Um uns von dieser Tortour zu befreien, gab es eine Scheraktion, der die allermeisten Verfilzungen zum Opfer fielen. Nun wird nur noch gelegentlich gekämmt und Locke findet es mittlerweile auch ganz nett, nur nicht zu lange, bitte schön. Achja, und zum Gesicht waschen kommt man jetzt auch nicht mehr ins Bad; man wartet auf der obersten Etage des Kratzbaums und lässt es über sich ergehen. Locke liebt den Balkon, bei den Samtpfoten durfte sie nur selten den Fensterplatz besetzen. Am liebsten döst sie dort den ganzen Tag in der Sonne vor sich hin und betreibt jetzt selber Fellpflege (Man glaubt es nicht, aber ich dachte anfangs, Perser putzen sich gar nicht…Vorausschauende Kapitulation vor der großen Aufgabe).
Sie ist jetzt seit drei Monaten bei uns und hat sich als kleine Prinzessin entpuppt. Sie ist ausgesprochen klug und weiß jeden um die Pfoten zu wickeln. Ein schönes Ritual hat sich auch schon eingespielt: Wenn ich von der Arbeit nach Hause komme, begrüßt sie mich an der Tür und möchte auf meinen Arm…aber nur links, bitte!…gehoben werden. Dann spazieren wir so durch die Wohnung und sie erzählt mir von ihrem Tag und ich ihr von meinem. Und dann weiß ich: Das ist Liebe.
Ihre Augen sind übrigens orange.
Viele Grüße, Maria
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